Blättertanz

Nachdem es heute Nacht geregnet hat ist Frankfurt wie in einer Dunstblase gefangen, die jedes Geräusch verblassen lässt und einem das Gefühl vermittelt, die niemals schlafende Stadt halte den Atem an, in Erwartung eines besonderen Ereignisses. Ich liebe diese fast schon melancholisch anmutende Stimmung in dieser sonst so lauten Stadt. Die Ruhe ist unwirklich. Der sonst nie abreißende Verkehr, die immer irgendwo ertönenden Martinshörner, nichts davon ist heute zu hören. Selbst die Vögel scheinen nur ein leises Lied am heutigen Tag anzustimmen. Die ungewohnte Stille und alles umfassende Ruhe erfasst auch mich, sodass eine seit Wochen nicht da gewesene Entspannung einsetzt. Die Gedanken hören auf zu rasen und zu kreisen, die Hektik des Alltags fällt ab. Denkt nun einer ich würde mich leichter fühlen, so sei demjenigen widersprochen. Eine Schwere macht sich breit. Als ob der Dunst alle Aktivitäten einer Stadt verschluckt, so lastet er auf mir wie ein Gewicht. Als hätte ich einen Anzug aus Watte die wie Blei wiegt übergestreift bekommen. Jede Bewegung ist als würde man unbewusste Gewichte mit stemmen. Das heben eines Armes wird zum Kraftakt und alle Motivation zu irgendeiner Aktion verläuft im Sand. So rinnt sie dahin die Zeit der Ruhe. Wie Sand in einer Sanduhr oder Wasser was man in der hohlen Hand hält und durch die Finger läuft. Nicht auf zu halten. Nicht auf zu fangen. Nicht zurück zu holen. Für immer gegangen.

Jeder Atemzug wird wahrgenommene, jeder Schlag des Herzens gespürt, wehre ich mich oder lasse ich es kommen?

Das Gefühl was all zu gerne verdrängt, übergangen, ignoriert in der Hektik des Alltags, dass nachspüren in sich. Das Sich spüren.

Will ich all das was in mir ist sehen? Panik macht sich kaum merkbar in mir breit. Denn was ist wenn ich meinen Perfektionismus, den Willen zu funktionieren loslasse? Was bleibt dann noch? Werde ich überrascht? Positiv oder negativ? Langsam läuft die Angst mit einem Seil um meinen Brustkorp und schnürt ihn zu. Das Atmen fällt mir schwer, Tränen treten in die Augen. Aus Hilflosigkeit?

Langsam tappe ich auf die mit viel Ketten gesicherte Kiste in meinem Inneren, auf der Vergangenheit steht, zu. Mit zitternden Händen und vor Tränen verschwommenen Blick betrachte ich das grosse Schloss was daran angebracht ist und überlege mit dem Schlüssel in der Hand was wohl passiert wenn ich es öffne. Lange stehe ich davor bis ich den Mut finde den Schlüssel im Schloss zu drehen.

Abgesprengt werden die Ketten, mit solch Urgewalt dass ich erschrocken zurück treten muss. Ich ducke mich in eine Ecke und halte schützend meine Hände über den Kopf um nicht erschlagen zu werden von all dem was auf mich herabprasselt. Vieles ist in dunklen bedrohlichen Farben nuanciert, manches gross und manches klein. Voller Angst in meiner Ecke gekauert, die Arme überseht mit kleinen Maken von schmerzenden Verletzungen will ich die Kiste gerade wieder schließen als ich eine sanfte Berührung verspüre. Ein sachtes Streicheln wie von einem zarten Wind. Die Geräusche um mich werden leiser, nichts schlägt mehr auf mich ein, sodass ich es wage den Blick zu heben, voller Hoffnung darauf das Schöne zu sehen. Und ich sehe es, voll bunter Farben ist sie da! Die Liebe, die Freude, das Leben in all seiner Pracht. Das Lachen und die Fröhlichkeit umringt mich und fordert zum Tanz. Ich sehe Menschen die nicht mehr unter uns sind, ihr Lachen und ihre Wärme, ich sehe Dinge und lebe Zeiten die nicht mehr sind, die nie mehr kommen werden, die aber unendlich schön waren. Und da ist es wie aus dem Nichts, das Gefühl sich wieder spüren zu können, mit all dem was einen Menschen ausmacht. Mit jedem Gefühl. Mit all seiner Liebe zum Leben, zu sich und zu anderen. Mit dem Wissen verzeihen zu können. Sich selbst und anderen. Mit all dem Lachen und der Freude. Dem Glücklich sein. Hier verweile ich und lass den Gedanken freien Lauf. Ohne Ziel und ohne Weg lasse ich sie fliegen wie Blätter im Wind. Schaue ihrem Spiel und ihren Bewegungen zu. Wie sie aufsteigen und absinken, in ihrer eigenen ureigenen Choreografie.  Ich schliesse mich ihrem Tanz an und bin nun wie berauscht von all dem Glück. Ein einzigartiges Blatt in einem grossen Ballett. Und wieder bin ich atemlos und habe ein klopfendes Herz. Aber alle Schwere ist vergessen und meine Bewegungen sind leicht und frei. All die Tränen und Angst vergessend steige ich immer höher und höher, wirbel herum und drehe mich und geniesse die wunderbare Aussicht von dort oben, die grenzenlose Freiheit Ich sein zu können.

Aus weiter Ferne höre ich ein Martinshorn, erst gedämpft und dann immer lauter. Wie aus einem tiefen Schlaf gerissen erwache ich nur langsam aus meinem Tagtraum und nehme meine Umgebung wahr. Da ist nicht nur das jaulen der Sierene, da ist auch das beständige Rauschen des nie abreißenden Verkehrs. Weit entfernt das kreischen einer Kreissäge und ganz nah das brummen des Staubsaugers von meinem Nachbarn begleitet von seinem schiefen Gesang. Krakelende Kinder dröhnende Motoren, bellende Hunde, die Hintergrundmusik.

Ein Blick aus dem Fenster zeigt mir das es regnet. Und nun nehme ich auch den Wind und das Gezwitscher der Vögel wieder wahr. Eine Stadt die nicht mehr den Atmen anhält sondern lebt. Eine laute Stadt.

Jetzt stehe ich hier am Fenster und frage mich, ob ich mir das alles nur eingebildet habe oder ob meine Stadt mich darauf aufmerksam machen wollte inne zu halten und nie zu vergessen. So oder so bin ich ihr dankbar dafür mir gezeigt zu haben welch Märchenwelten sich in der Hektik des Alltages verbergen und während ich mich lächend vom Fenster abwende um an meinen Schreibtisch zurück zu kehren stiehlt sich die Sonne hervor. So als wolle sie das warme wohlige Gefühl noch unterstreichen….

 

 

6 Kommentare

  1. Ina
    Mai 10, 2018 / 13:48

    Es ist spannend, du solltest weiter machen, das hat mir gefallen. Du kannst unglaublich gut die Gefühle beschreiben, so das ich voll dabei war. Ich würde gerne mehr von dir lesen.

    • Mai 10, 2018 / 13:52

      Danke schön für deine lieben Worte… und es wird sicherlich mehr kommen wenn es angenommen wird, mir macht das einfach sehr viel spass. Wenn ich dann noch schaffe jemanden in eine andere Welt zu entführen bin ich wunschlos glücklich – viele liebe Grüße Stefanie

  2. Kerrydrei
    Mai 10, 2018 / 15:25

    Deine Geschichte hat mich mitgenommen auf eine Wunderschöne Reise der Poesie ich hoffe noch mehr von dir zu lesen.Dankeschön das du mir den Tag verschönert hast. Liebe Grüße Kerry❤

    • Mai 10, 2018 / 15:28

      Vielen lieben Dank und es wird sicherlich noch einiges folgen – Lg Stefanie

  3. EvelinWakri
    Mai 11, 2018 / 14:29

    Liebe Stefanie,
    ich denke, dass Du genau weißt, dass diese Worte, Sätze, Zeilen und Absatz um Absatz genau meines ist. Als hättest Du gleichzeitig in meine Seelentruhe geschaut. Wunderbar geschrieben und Du begeistert mich voll und ganz.
    GlG EvelinWakri

    • Mai 11, 2018 / 17:51

      Danke schön liebe Evelin – es freut mich sehr wenn es gefällt – ganz liebe Grüße zurück – stefanie

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